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Bot_Grundkenntnisse

Neues Buch: Botanische Grundkenntnisse auf einen Blick

Autoren: Yann Fragnière, Nicolas Ruch, Evelyne Kozlowski, Gregor Kozlowski (Botanischer Garten, Universität Fribourg, Schweiz)

Schönes Buch, gut gebunden, das verwendete Papier (recht stabil, aber mit poröser Oberfläche) ist für die zahlreichen, meist guten Photos leider schlecht geeignet.

Wir haben uns sehr auf dieses Buch gefreut und waren sehr gespannt. Umso grösser die Enttäuschung (siehe Fazit am Ende dieser Seite). Unsere Beurteilung basiert auf einigen merkwürdigen, falschen und verwirrenden Dingen im Buch (Auswahl von Mängelpunkten):

  • sinngemässes Zitat: "Inhalt geht über den Stoff von Gymnasien, Hochschulen und Universitäten hinaus" – merkwürdige Vergleichsstruktur! Man könnte daraus ableiten, dass Gymnasien bis Universitäten den gleichen Stoff behandeln, das Buch aber darüber hinausgeht. Und zudem:
    • der Unterschied zwischen Ausbreitung (Aktion) und Verbreitung (Zustand) wird nicht gemacht; die Sporen resp. Pollen werden verbreitet (S. 15); das ist falsch und NICHT Hochschulniveau, Sporen und Pollen (und Samen etc.) werden ausgebreitet.
    • S. 26: Fruchtknotenstellung definiert als ober- resp. unterständig; und was ist mit mittel- resp. halbunterständig, zwei Begriffe, die im Hochschulbereich gängig sind!
    • bei den Fruchtkapseln werden verschiedene Typen unterschieden, je nach Öffnungsmechanismus: lokulizid (z.B. bei Juncaceae S. 110, Violaceae S. 144, Salicaceae S. 150), septizid (z.B. Saxifragaceae S. 132, Gentianaceae S. 242, Plantaginaceae S. 262); mehr als einen Spezialtyp der Kapsel wird angegeben bei Campanulaceae (S. 290: lokulizid und porozid); und gar kein Typ wird bezeichnet z.B. bei Papaveraceae (S. 126) oder Caryophyllaceae (S. 210). Diese unterschiedlichen Kapseltypen sind für Anatomen sicher interessant, für die Artenkenntnis sind sie aber nicht relevant und somit (für das Zielpublikum) unnötig.
    • S. 40: Equisetaceae, angegeben wird als "wichtige Gattung" Equisetum; da dies die einzige Gattung in der Familie Equisetaceae ist, ist sie selbstverständlich wichtig...
    • Fabaceae (S. 162): "Blüten ... zygomorph mit 5 freien Kronblättern ...". Auf Hochschulniveau sind Fabaceae und Faboideae zu unterscheiden; das angegebene Merkmal stimmt für (die meisten) Faboideae, aber sicher nicht für die Fabaceae!
  • Es werden die deutschen Namen verwendet, immerhin sind die wissenschaftlichen Namen meist in Klammer angegeben.
  • Vergleich Gymnos/Angios rudimentär, insbesondere die Sache mit der Zytologie und den Samenanlagen und ihren Entwicklungen.
  • Vergleich Monocots/Dicots sehr rudimentär.
  • Gymnosermen nach amerikanischer Sichtweise (Staubblätter nicht in männlichen Blüten, sondern in männlichen Zapfen).
  • Merkwürdige Fruchtdefinitionen, z.B. Nussfrucht nicht enthalten resp. inhaltlich aufgeteilt, mit ungenauen Definitionen: 'Flügelfrucht', 'Achäne' (hier keine Bemerkung zu Samen- und Fruchtschale) und 'Karypose (Same mit Perikarp verwachsen)'; deshalb ist z.B. bei Asteraceae, Betulaceae, Fagaceae und Polygonaceae (unabhängig von Fruchtknotenstellung) der Fruchttyp eine 'Achäne'.
  • Poaceae (S. 94):
    • Blüten in Ährchen, "jedes trägt mehrere Blüten". Und was ist mit den Poaceae mit 1-blütigen Ährchen (z.B. Agrostis, Calamagrostis, Milium...)?
    • Ährchen unten abgeschlossen mit 2 Hüllspelzen; das trifft nicht auf alle Gattungen zu, es gibt Gattungen ohne Hüllspelzen (z.B. Nardus) oder solche mit 3 (z.B. Echinochloa, Digitaria, Panicum oder Setaria) oder 4 Hüllspelzen (z.B. Anthoxanthum oder Phalaris).
    • Die beiden Spelzen einer Blüte (Deck- und Vorspelze) werden beide als Deckspelze bezeichnet (untere resp. obere Deckspelze); sehr ungewohnte (auch sonst verwendete?) Terminologie.
    • kein Kommentar betreffend Granne bei der unteren Deckspelze (=Deckspelze), dafür aber obere Deckspelze (=Vorspelze) zuweilen mit Granne; ABER: wenn Grannen vorhanden sind, dann sind dies allermeistens an der Deckspelze (in diesem Buch: untere Deckspelze), manchmal auch an einer Hüllspelze, aber NICHT an der oberen Deckspelze (=Vorspelze)!
  • speziell (kreativ!?) die Blütenhülle bei Ranunculaceae (in Klammer meine Kommentare):
    • Gattungen mit Perigon, z.B. Anemone und Pulsatilla (okay!).
    • Gattungen mit Kelch und Krone, Kronblätter manchmal mit Nektar (okay, kann so interpretiert werden).
    • Gattung Helleborus mit 5 Kelchblättern und zahlreichen tütenförmigen, nektarführenden Kronblättern (schon sehr kreativ!). Interessant wäre eine Extrapolation auf die im Buch nicht besprochene Gattung Trollius, bei der die schmalen Nektarblätter den Staubblättern ähnlich sind; sind das dann auch Kronblätter?
    • Gattung Ranunculus: generell mit 5 Kelch- und 5 nektarführenden Kronblättern; okay, das kann man so interpretieren – ABER:
    • Ficaria verna wird als Ranunculus ficaria angeführt (also per definitionem mit "5 Kelch- und 5 nektarführenden Kronblättern"), angegeben werden aber 8 Perigonblätter (damit sind die gelben nektarführenden Blütenblätter gemeint!) und 3 kelchblattartige Tragblätter (das ist schon eine kreative Spitzenleistung!).
  • Fabaceae (S. 162): Leider fehlen die eindeutigen, sehr einfachen und hilfreichen Merkmale von Blattstellung (wechselständig) und Fruchtknotenstellung (oberständig). Zudem steht: "Das einzige Fruchtblatt enthält mehrere Samenanlagen"; Linsen (Lens culinaris) und die auch bei uns vorkommenden Esparsetten (Onobrychis spp.) haben aber i.d.R. 1samige Früchte.
  • weitere Familienbeschreibungen, in denen die wichtige und einfach zu sehende Fruchtknotenstellung nicht erwähnt wird, sondern nur in der Blütenformel ersichtlich ist (und somit leicht übersehen werden kann): Papaveraceae (S. 126), Violaceae (S. 144), Brassicaceae (S. 202), Polygonaceae (S. 218), Gentianaceae (S. 242), Lamiaceae (S. 254), Apiaceae (S. 296).
  • Rosaceae (S. 170): "Jede Blüte besteht aus 5 Kron-, 5 Kelch- und vielen Staubblättern". Bemerkungen:
    • die Reihenfolge der Aufzählung merkwürdig (normalerweise geordnet von aussen nach innen oder umgekehrt, hier ist sie aber gemischt).
    • und was ist mit den Fruchtblättern?
    • Potentilla erecta hat 4zählige Blüten.
    • Alchemilla hat auch 4zählige und zudem stark reduzierte Blüten: 4 Kelch- und 4 Staubblätter, keine Krone
  • Ericaceae (S. 224): Familiendiagnose "Fruchtblätter ... bilden einen oberständigen Fruchtknoten"; nicht nur, unterständig gibt es auch (z.B. Vaccinium); verwirrend ist, dass in der Blütenformel dann beide Stellungen enthalten sind.
  • Asteraceae:
    • Blütenformel "K 5 C(5) A 5 G 2" (S. 282) sowie das dazu entsprehende Blütendiagramm (S. 283) sind schlicht falsch; Kelch 5-zählig und gemäss Blütendiagramm blattförmig? Und was ist mit dem Pappus??
    • merkwürdige bis falsche Beschreibung der Staubblätter:
      • "Filamente ... mit der Blütenkrone verwachsen": wohl eher daran angewachsen!
      • "Staubbeutel mit der Röhre um den Griffel" (verwachsen): Mit welcher Röhre um den Griffel? Die Staubbeutel sind verwachsen und BILDEN eine Röhre, die den Griffel umschliesst.
  • Glossar: Unter "Zapfen" steht: "Eingeschlechtlicher Blütenstand der Gymnospermen"; und was ist mit den Zapfen der Erlen (Alnus spp, Betulaceae)?



Fazit:

Weniger Fehler als im Lüder-Buch, aber dennoch einiges falsch, unvollständig oder verwirrend formuliert und angeordnet. Für mich deshalb kein gutes Lehrbuch; nach meiner Meinung deshalb ebenfalls nicht zu empfehlen.